Der Schuppen war mit einer Kette und einem Vorhängeschloss
versperrt. Leo versuchte, es mit seinem Dietrich zu knacken.
Der Abend war perfekt für Recherchen dieser Art. Bei dem
Gewitter und so starkem Regen war nicht mal die Security unterwegs und
unbehelligt hatte er sich an der Mauer entlanggeschlichen, bis er diesen
kleinen versteckten Schuppen entdeckt hatte.
Als gerade das Schloss aufsprang, knackste es schräg hinter
ihm auf dem Boden. Ein Tier? Er rührte sich nicht und lauschte angespannt auf
weitere Geräusche. Da, wieder ein Knacken, und noch einmal. Das war kein Tier,
das schlich sich jemand an.
Er spannte alle Muskeln seines Körpers an und wartete
sprungbereit, dass der andere nah genug kommen würde, um ihn mit einem
Überraschungsangriff auszutricksen.
In Gedanken zählte er die Schritte mit. Einer, noch einer,
wieder ein Knacken. Dann sah er aus den Augenwinkeln eine Bewegung, sprang
blitzschnell herum, warf sich auf den anderen und schleuderte ihn zu Boden. Den
Bruchteil einer Sekunde später saß er über ihm und hatte seinen Arm auf dem
Rücken verdreht.
Ein leiser Aufschrei.
„Schnauze, sonst breche ich dir den Arm“, zischte er dicht
am Ohr seines Gegners und ruckte das Handgelenk noch einmal schmerzhaft gegen
die Schultern. Der Typ keuchte, blieb aber still und hörte auf, sich zu wehren.
Es schien kein Mann, sondern eher ein nicht besonders großer Junge zu sein. Mit
routinierten Griffen tastete er die Beine ab und stutzte. Ein Kleid?
„Verdammt!“ Fluchend suchte er nach der Taschenlampe, die er bei seinem Angriff
fallen gelassen hatte. Dann leuchtete er in das Gesicht seines Gegners.
„Claire?“
Sie wimmerte leise auf.
Tatsächlich, es war die kleine Herrmann. Vorsichtig schaute
er sich nach allen Seiten um. War sie ihm tatsächlich allein
hinterhergeschlichen? „Ich lasse dich jetzt los, aber du bist still und wir
stehen gemeinsam ganz langsam auf. Ist das klar? Eine falsche Bewegung und du
liegst wieder im Dreck.“
Sie gab ein Geräusch von sich, das einem Ja nahe kam.
Langsam ließ er sie los, stand auf und zog sie mit hoch.
Sie wehrte sich nicht. Als sie standen, leuchtete er sie
kurz an und zog sie mit zum Schuppen.
Nachdem er hineingeblickt hatte, schob er sie vor sich her
und schloss hinter ihnen die Tür.
Er leuchtete in alle Ecken. Sie standen in einem leeren
Raum. Der Boden war aus Holz. An einer Wand lehnten ein paar Gartengeräte.
Claire rührte sich nicht. Nun leuchtete er sie an.
Sie trug ein schwarzes, enges Kleid und war vollkommen
durchnässt. Die Schuhe hatte sie anscheinend verloren, die nackten Füße waren
mit Dreck beschmiert. Sie zitterte am ganzen Körper. Er legte die Lampe neben
sich auf einen Holzbalken, sodass sie den Raum in ein schummriges Halbdunkel
hüllte, ohne zu blenden.
Fragend sah er sie an und langsam löste sich ihre Starre.
Anscheinend erkannte sie ihn erst jetzt, denn sie lachte
trocken auf. „Der Einbrecher!“ Die Anspannung fiel von ihr ab, und sie lehnte
sich mit dem Rücken gegen die Holzwand. „Was suchst du hier mitten in der
Nacht?“
„Das Gleiche könnte ich dich fragen. Für einen nächtlichen
Waldspaziergang bist du nicht gerade passend angezogen“, entgegnete er trocken.
„Ich habe dich an der Mauer entlangschleichen sehen und bin
dir gefolgt.“
„Hattest du keine Angst? Wieso hast du nicht nach den
Wachleuten gerufen?“
Claire antwortete nicht, sondern ließ sich langsam und
kraftlos an der Wand entlang auf den Boden rutschen. Sie zitterte immer noch
wie Espenlaub.
Er zog seine Jacke aus. „Hier, nimm. Du holst dir ja den
Tod.“
Sie rührte sich nicht. Stand sie unter Drogen? Er hockte
sich vor sie, zog ihren Nacken nach vorn und legte ihr die Jacke um die
Schultern. Dann umfasste er ihr Gesicht, hob es an und musterte prüfend ihre
Augen. „Hey, alles in Ordnung?“
Sie drehte unwillig den Kopf weg und nickte. „Ja, alles in
bester Ordnung.“
Ihre Stimme klang seltsam, so ironisch belustigt. Sie atmete
hörbar aus, schien sich zu fangen und sah ihm in die Augen. „So sieht das also
aus, wenn man als Einbrecher ein ehrliches Leben beginnen will.“
„Wirst du mich verpfeifen?“
Sie sah sich um. „Gibt es hier was zu klauen?“
„Ich suche eher einen heimlichen Weg nach draußen.“
„Und, ist das hier einer?“
„Sieht nicht so aus.“ Er fasste mit Zeigefinger und Daumen
in eine Falte ihres Kleides. „Warst du bei deinem Lover? Schmeißt der dich nach
dem Sex bei dem Wetter raus und lässt dich zu Fuß nach Hause laufen? Das ist
nicht gerade die feine Art.“
Sie blickte ihn einen Moment lang still an. „Hör zu,
Einbrecher. Hilf mir hier raus, und du bekommst von mir viel Geld.“
Leo zog die Augenbrauen hoch. „Wieso gehst du nicht einfach
morgen früh durch das Haupttor?“
„Weil die mich nicht durchlassen.“
„Und warum nicht?“
„Ich schulde Diehl Geld.“
Er lachte auf. „Dann bezahl ihn doch.“
„Kann ich nicht. Ich habe nichts.“
„Und wovon willst du mir dann viel Geld geben?“
Sie schwieg wieder und kaute nervös an ihrer Unterlippe.
Plötzlich runzelte sie die Stirn. „Wieso bist du hier?“
„Sag ich doch, ich suche einen heimlichen Weg nach draußen.“
„Nein, ich meine überhaupt hier, in diesem Resort?“
„Arbeitsamt.“
„Das Arbeitsamt hat dich als Gärtner hierher vermittelt?“
„Ja, der Job wird sehr gut bezahlt, dafür lohnt es sich, aus
Hannover wegzugehen.“
„Und du hast sonst nichts mit Diehl zu tun?“
„Nein, ich kenne den nicht, du aber anscheinend sehr gut.
Schon länger?“
„Er war ein Freund meines Vaters.“
„Findest du nicht, dass ein Freund deines Vaters etwas alt
für dich ist? Hast du so wenig Stolz, dich von so einem aushalten zu lassen?“
„Ich hab nichts mit dem.“
Leo lachte auf. „Nein, und ich bin hier als Manager
angestellt.“
Eine Sekunde lang starrte sie ihn wütend an. Dann winkte sie
resigniert ab. „Vergiss es einfach.“ Sie schob ihn zur Seite und stand auf.
Einen Moment lang wollte er sie einfach gehen lassen, doch
dann fasste er sie an der Schulter und hielt sie zurück. In ihren Augen
glänzten Tränen und sie sah unglaublich erschöpft und entmutigt aus. „Was ist
los? Was machst du hier wirklich?“
„Lass mich gehen. Keine Sorge, ich verrate dich nicht.“
Er trat vor sie und versperrte ihr den Weg. „Sag mir die
Wahrheit. Los, raus damit.“
„Du glaubst mir sowieso nicht.“
„Versuch es.“
„Diehl erpresst mich. Er sagt, mein Vater schuldet ihm Geld.
Das soll ich jetzt … abarbeiten.“
„Wie viel Geld?“
„Keine Ahnung. Er meint auch, mein Vater lebt und ich
wüsste, wo er ist.“
„Und weißt du es?“
Sie lachte. „Nein, und wenn er tatsächlich noch lebt, will
ich nicht wissen, wo er ist. Was soll ich mit einem Vater, der mich so in der
Scheiße sitzen lässt.“ Ihr versagte die Stimme und die ersten Tränen kullerten
über die Wangen. Sie schluckte, atmete tief durch und wischte mit den Händen energisch
über die Augen. „Hör zu. Mein Vater hat irgendwo Geld versteckt. Bring mich
hier raus, hilf mir, es zu finden und du kriegst die Hälfte ab.“
Er schaute sie eindringlich an. „Was will Diehl von dir?
Zwingt er dich, mit ihm zu schlafen?“
Sie biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf.
„Hey.“ Er legte seine Hand an ihr Kinn und zwang sie, ihn
anzusehen. „Spuck es aus. Was verlangt er?“
Sie zuckte vor seiner Berührung zurück. „Er versteigert
gerade mein erstes Mal“, sagte sie leise.
Fassungslos starrte er sie an. Plötzlich zitterte sie wieder
am ganzen Körper und neue Tränen liefen über ihre Wangen.
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